Eine Entscheidung fällt sofort: Ich beschließe, die "Rollo G" nach der ersten Überholung im Winterlager umzubenennen. Die Segellegende Gebhard scheint dann doch etwas zu hoch gegriffen für eine kleine Jolle, und außerdem finde ich, dass Schiffe weibliche Namen tragen sollten - zugegebenermaßen Geschmackssache, aber für mich steht fest, dass es "Magda" werden wird. Nach meiner Großmutter...

 

Zunächst bleibt es aber bei "Rollo G", und es läuft gut an. Auf dem Trailer gebe ich Wasser ins Boot, das nach nach und nach auch tatsächlich drin bleibt. Zwischenzeitlich kümmere ich mich um einen Liegeplatz, und nach ein paar Wochen schwimmt "Rollo G" tatsächlich in einem kleinen Hafen an der Unterelbe.

 

Nach einigen Übungseinheiten im Hafenbecken habe ich alles getestet und mich an Bord sortiert. Man kommt zurecht, die Handgriffe sitzen, das Gefühl für das Boot stimmt. Das Material ist alt, aber soweit funktionstüchtig und dem ersten Ausflug auf die Elbe steht nichts mehr im Weg - außer der Tide. Der Hafen hat ein Stautor, dass nur kurz vor Hochwasser öffnet und im Ebbstrom sofort wieder schließt. Die einzige Chance auf mehr als 100 Meter Auslauf: Aus dem Hafen raus und warten, mit dem einsetzenden Ebbstrom auf die Elbe und kurz vor dem nächsten Hochwasser wieder in den Hafen zurück. Das bedeutet 10 Stunden unterwegs, zudem müssen Morgen- und Abendhochwasser im Hellen sein und der Wind muss auch mitspielen. Als nach zwei Wochen alles passt -und das auch noch an einem Wochenende- kann ich mein Glück kaum fassen und bereite mich akribisch auf den großen Tag vor.

 

Was soll ich sagen, ein ereignisreicher Tag. Nach ausgiebigem Frühstück während der Wartezeit vor dem Hafentor geht es zur Elbe und dort zunächst im geschützten Nebenfahrwasser Richtung Nordsee. In der offenen Elbe hinter der schützenden Sandbank wird es rauher, ca. ein halber Meter Welle und Böen von gut 5bft - dank Trockenübungen im Hafen alles kein Problem. Am Ende sind es um und bei 25 Flusskilometer, bevor ich umdrehe und mich auf den Heimweg mache. Eine Stunde später kippt auch die Tide und ich fliege mit dem Strom im achterlichen Wind heimwärts. Gleitfahrt in einem sechzig Jahre alten Holzboot, großartig!

 

Viel zu früh bin ich zurück, der Hafen ist noch zwei Stunden zu. Bloß nicht vorbeifahren, dann lieber (fast) auf der Stelle kreuzen. Das Nebenfahrwasser ist ruhig und leer. Der Flutstrom hat zwar maximale Stärke erreicht, ich habe aber genug Platz und kann mit gezogenem Schwert sowie vollem Tuch sogar noch etwas Strecke machen. Lange Schläge von Ufer zu Ufer, so sieht entspanntes Segeln aus. Die Hälfte der Wartezeit ist schon geschafft, ein starker Tag auf dem Wasser neigt sich dem Ende.

 

Bilder von dem unvergesslichen Törn habe ich leider keine mehr - Handys sind wasserscheu. Kurz vor dem krönenden Abschluss einmal nicht aufgepasst, bei einer Wende dreht eine Böe das Boot quer zum Wind. Halb voll Wasser und mit Schwert im Kasten kriege ich die gekenterte Jolle nicht wieder aufgerichtet und nach kürzester Zeit treiben wir kieloben. Ich befürchte fast, dass "Rollo G" nicht mehr will und beleidigt ist, weil ich ihn nach dem Winterlager umbennen will - zumindest geht durch die für eine Jolle nicht ungewöhnliche Havarie der Mast verloren und der Schwertkasten schlägt leck. Das "Winterlager" beginnt somit bereits Ende Juni.

 

Zunächst wird hinter dem Haus eine kleine Werft eingerichtet, einschließlich eines Gerüsts, um die Jolle vom Trailer zu heben. Als erstes kommen die Namensschilder ab und "Rollo G" ist Geschichte.

 

Dann folgt die Bestandsaufnahme. Welche Stellen am Boot sind noch gut, wo muss ausgebessert werden? Oder müssen gar ganze Bauteile komplett ersetzt werden? Erst wenn ich hier den Überblick habe will ich entscheiden, wie die zukünftige "Magda" mal aussehen soll.

 

Ein Blick ins Innere war schon vor dem Kauf möglich und offenbarte, dass die Spanten im Unterwasserbereich nahezu alle angegriffen und teilweise bereits gedoppelt sind. Nun gut, der Pirat hat Knickspant mit geraden Leisten, die sich vergleichsweise einfach tauschen lassen. Das ist machbar.

 

Als nächstes wird die Überplanken aus Sperrholz im Unterwasserschiff geöffnet. Das Ergebnis ist ernüchternd: Unter dem Sperrholz haben die Originalplanken aus Mahagoni fröhlich gefault, wenn sie nicht schon vorher rott waren. Die Faulstellen sind zu zahlreich und zu groß, um einzeln ausgeschnitten und neu angesetzt zu werden. Zur Beruhigung, dass nichts Heiles unnötig kaputt gemacht wurde: Auch das Sperrholz hätte nicht drauf bleiben können, da es ebenfalls schon gammelt. Zudem wurde das Sperrholz mit normalen Stahlschrauben befestigt, die mittlerweile total verrostet sind. Das hätte auch nicht mehr lange gehalten. Schnell wird klar: Alle Planken im Unterwasserschiff müssen raus. 

 

Ganz arg angefault ist der Spantenknick im Heck an backbord. Hier muss ein Abschnitt des Kimmstringers (Eiche) ersetzen sowie die Seitenwand (Mahagoni) ausgeschnitten und angesetzt werden. Mit etwas Glück geben die Bodenplanken noch ein Stück her, das groß und gut genug dafür ist.

 

Nun wird der Kiel aus Eiche freigelegt, der ebenfalls unter dem Sperrholz verborgen lag und leider ebenfalls arg gelitten hat. Direkt unter dem Mast klafft vor dem Schwertkasten ein breiter, langer Riss durch alle Schichten  und auch ansonsten ist die Substanz alles andere als vertrauenserweckend. Lauter Spalten, Risse und Löcher. Hier hilft bestenfalls noch massive Behandlung mit Epoxy - Erfolg ungewiss. Austausch wäre sicherer und nachhaltiger...

 

Das Überwasserschiff ist - abgesehen von der beschriebenen Ecke am Heck - von der Substanz her erhaltenswürdig. Allerdings würde ich gerne das Deck erneuern, weil ich die derzeitige topfebene Sperrholzlösung nicht besonders mag und gerne wieder etwas mehr Schutz vor überkommendem Wasser für das Cockpit hätte.

 

Fazit der Bestandsaufnahme: Bis auf Vorsteven, Spanten im Oberwasserschiff, Seitenplanken und Spiegel muss alles komplett neu. Daraus wieder 'nur' einen Originalpiraten zu machen ist -mir wenigstens- eindeutig zu viel Aufwand, sowohl von der Arbeit her als auch von den (Material-)Kosten. Es gibt genug besser gepflegte Angebote am Markt, mit denen ich schneller und billiger wieder auf's Wasser käme. Also alles einfach als Totholz abschreiben und fachgerecht entsorgen? Frustrierende Aussichten...

 

Moment mal, ganz hinten im verrückten Hirn meldet sich eine verwegene Idee und drängelt vehement in den Vordergrund: Der Rumpf ist toll gesegelt und hat daher anscheinend trotz des Alters und der schlechten Substanz Form und Symmetrie gehalten. Man könnte also die schadhaften Teile Stück für Stück soweit ersetzen, dass Neues an die Stelle von Altem passt. Im Rahmen dessen könnte man eine individuelle Wanderjolle bauen, die zwar der Rumpfform eines Piraten folgt, aber sonst mehr oder weniger frei konstruiert werden kann. Die Gefahr, dass ein schiefes und damit unbrauchbares Boot dabei herauskommt besteht kaum, so lange man bei jedem Schritt auf ausreichende Stabilität des Gesamtkunstwerks achtet.

 

Ein echtes Unikat nach eigenen Wünschen und Vorstellungen mit vergleichsweise geringem Risiko - dieser Gedanken setzt sich fest und lässt mir keine Ruhe. Und so beginne ich zu planen, wie "Magda" denn einmal aussehen soll. Parallel geht die Arbeit am Boot weiter. Aus "Rollo G" wurde "Magda", aus einem Piraten wird eine ganz individuelle Wanderjolle, und was als Winterlager begann ist mittlerweile ein Neubauprojekt. Oder ein Abenteuer. Oder beides...